Minimum Viable Product – Produktvalidierung am Markt

Veröffentlicht am 02. June 2020

Dennis Belzner

Schnell, risikoarm und unkompliziert – Mit diesen Adjektiven könnte man das Konzept des Minimum Viable Product (kleinstes lebens- bzw. funktionsfähiges Produkt) wohl am besten beschreiben. Etabliert im Kontext des Lean-Startup-Gedanken, geht es darum, ein mit den notwendigsten Funktionen ausgestattetes Produkt so schnell wie möglich und mit geringstem Aufwand an den Markt zu bringen, um die Nutzerakzeptanz sowie Bedarfsfrage zu klären.

Dabei sollten jedoch weitere Adjektive wie relevant, iterativ und kommunikativ aber nicht außer Acht gelassen werden, da dass Produkt sonst genauso schnell scheitert, wie es auf den Markt gekommen ist. Viable bedeutet nämlich, dass das MVP den Grundanforderungen eines markttauglichen Produktes entsprechen muss. Heißt: Es muss den größten Pain der Nutzer ansprechen und somit auch in der Urform Mehrwert schaffen.

 

Weniger ist mehr

Der Begriff Minimum Viable Product wurde erstmals 2001 von dem Unternehmer Frank Robinson eingeführt und später durch Steve Blank sowie Eric Ries, den Erfindern der Lean-Startup-Methode, der breiten Masse nähergebracht. Robinson definierte das MVP als das Ergebnis einer „synchronen Entwicklung“ (synchronous development) – Also einer parallel durchgeführten Produkt- und Kundenentwicklung.

Für Robinson stellt dieser Ansatz eine Lösung für ein gängiges Problem dar: Viele Teams rühmen sich mit der Vielzahl an Features, die sie ihrem Produkt verleihen. Dabei ist die bloße Anzahl der Produktfunktionen kein Erfolgsgarant und häufig unrentabel. Je mehr Funktionen einem Produkt hinzugeführt werden, desto zeitaufwendiger und kostspieliger wird die Entwicklung. Und da die Verwendbarkeit oftmals ebenfalls komplexer wird, ist die Fallhöhe beim Scheitern des Produkts enorm.

“A MVP is that version of a new product which allows a team to collect the maximum amount of validated learning about customers with the least effort.” - Eric Ries

Beim MVP geht es darum, genau dieses Risiko zu minimieren. Es muss einzig über die Hauptfunktionen verfügen, die bei der relevanten Kundengruppe am wahrscheinlichsten auf Akzeptanz und Zufriedenheit stoßen. Dadurch werden nicht nur finanzielle Ressourcen gespart, sondern der Produktlaunch kann frühzeitiger erfolgen, wodurch teils erste Umsätze generiert werden können und vor allem wertvolles Feedback für die Weiterentwicklung des Produktes gesammelt werden kann.

Es handelt sich somit um eine agile, benutzerorientierte Produktentwicklung, die sich eher gegenläufig zur bewährten Wasserfall-Methode verhält. Anstatt eines linearen Projektablaufs, in dem schrittweise, also Phase für Phase, auf den Launch eines Endproduktes hingearbeitet wird, liefert der MVP–Ansatz bereits in den Zwischenphasen des Projektes ein funktionierendes Produkt. Hierdurch können die Nutzer das Produkt frühzeitig challengen und nach jedem Sprint kann neu evaluiert werden, ob die Basics überhaupt funktionieren und, wenn ja, wie man sie direkt im Folgesprint verbessern kann.

Das MVP von Airbnb

Eines der bekanntesten Beispiele für ein MVP ist der Start und Aufstieg von Airbnb im Jahr 2007. Um ihre Miete in San Francisco bezahlen zu können, fragten sich die beiden Produktdesigner Brian Chesky und Joe Gebbia, ob es da draußen nicht Leute gibt, die für die Unterkunft bei ihnen in der Wohnung zahlen würden. Im Gegensatz zu couchsurfing.org brachten sie also eine finanzielle Komponente mit ins Spiel.

Da durch eine IDSA Konferenz die Hotels in der Umgebung mal wieder ausgebucht waren, legten sie kurzerhand ihre Wohnung mit Matratzen aus und bauten eine rudimentäre Website, auf der sie die verzweifelt nach einer Unterkunft suchenden IDSA-Teilnehmer direkt ansprachen. 3 Personen fanden sich schließlich ein, die bereit waren, 80 Dollar pro Nacht zu zahlen.

Somit bestätigte sich die Annahme der Gründer, dass es einen Markt für bezahlte Raummieten im privaten Bereich gibt. Alles was sie zum Testen ihres Produktes brauchten, war eine Angebotsseite, eine klare Zielgruppe und das Verständnis für deren Problem. Von hier aus konnten sie weitere Daten sammeln und Prozesse iterieren. Der Ansatz bleibt hierbei bis heute gleich: Anstatt unnötige Funktionen hinzuzufügen, liegt der Fokus auf der Verbesserung der Kernerfahrung unterstützt durch die ständige Kommunikation mit den Nutzern.

MVP vs. Prototyp

Anhand des Beispiels von Airbnb sieht man auch schon die Ähnlichkeit zwischen MVPs und der Erstellung von Prototypen. Beide Konzepte sind als zyklische Prozesse zu verstehen und kommen der Produktentwicklung zugute, indem früh getestet und das Feedback von Nutzern gesammelt werden kann.

Der Prototyp, egal wie ausgefeilt, ist aber immer nur eine Art Muster und kein fertiges Produkt. Er dient sowohl für das Team als auch für erste echte Nutzer als Vorgeschmack auf ein mögliches Endprodukt. Die Prototypisierungs- und Testing-Phase stellt dabei den wichtigsten Teil des iterativen Entwicklungsprozesses dar, da der Prototyp sowohl das Ende der Design Thinkings-Methode darstellt als auch den Anfang eines neuen Zyklus, indem rekapituliert und wiederholt wird.

Das MVP hingegen ist als (markt-)fertiges Produkt zu verstehen. Man könnte somit auch sagen, dass ein MVP der nächste Schritt, die Weiterentwicklung des Prototyps ist. Sollen beim Prototyp noch gravierende Fehler bzw. Kurskorrekturen frühzeitig erkannt werden, muss das MVP bereits geschliffen sein. Ein MVP kann nur auf den Markt kommen, wenn es auch wirklich reif ist und die implementierten Hauptfunktionen auch laufen.

Um dies zu gewährleisten, geht dem MVP oftmals ein Proof of Concept (PoC) voraus. Ähnlich wie beim MVP konzentriert man sich beim PoC auf einen Kernaspekt des Produktes, um die die Machbarkeit der Idee zu überprüfen und zu bewerten. Kurz gesagt,; der PoC ist auf die Validierung zweier Ziele ausgerichtet: 1. Es gibt einen Absatzmarkt und somit Nutzer, die das Produkt brauchen/wollen. 2. Das Unternehmen/Team verfügt über die notwendigen Fähigkeiten, das Produkt zu entwickeln.

Ein Mindset auf den Nutzer fokussiert

Dass sich das MVP hauptsächlich in Startup-Umgebungen etabliert hat, ist kein Zufall, da man schnellstmöglich mit einem markttauglichen Produkt glänzen und die Risiken für Investoren minimieren kann. Die MVP-Strategie lohnt sich aber auch in etablierten Unternehmen, um die Machbarkeit eines Produktes zu validieren und dank echter Erfahrungswerte schnell neue Erkenntnisse in ein Projekt einfließen zu lassen.

Der klare Fokus auf die Pains sowie Kernerfahrung der Nutzer sollte bei jeder neuen Idee der Startpunkt sein, um schlussendlich nicht mit einer Funktion oder einem ganzen Produkt dazustehen, welches kein Problem löst und für welches überhaupt kein Markt existiert. Gleichzeitig ist der iterative Optimierungsprozess notwendig bei jedweder Entwicklung, da die Anforderungen der Nutzer Veränderungen unterliegen und die Konkurrenz nun mal nicht schläft.

Am Schluss steht immer der Nutzer im Vordergrund – und wer seine Nutzer sind bzw. welche Bedürfnisse sie haben, muss unmissverständlich definiert sein. Die Nutzer wollen schließlich kein Produkt, dass 100 Sachen kann, aber nichts davon wirklich gut. Sie wollen eine Lösung für ein Problem, von welchem sie vielleicht noch gar nichts wissen. Ein klares Mindset für das, was wirklich zählt, hilft somit nicht nur den Design- und Entwicklungs-Teams effizienter zu arbeiten, sondern allgemein ein Endprodukt zu fertigen, welches wirklichen Mehrwert bietet.

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