Leben in einer Filterblase – Algorithmen im Social-Media-Bereich
Auf der Suche nach Informationen helfen uns online sogenannte Algorithmen dabei, schnell und ohne große Mühen an Ergebnisse zu kommen. Im Zeitalter von Social Media und Big Data greifen diese Algorithmen aber nicht mehr nur auf die (Such-)Eingabe zurück, sondern bedienen sich aller Informationen, die ein Nutzer auf einer Plattform oder teils auf seinem gesamten Weg durch die Weiten des Internets zurückgelassen hat. Alles, um Inhalte, Nachrichten und Werbung ohne direkten Input auszuspielen, die dem jeweiligen Nutzer gefallen und ihn möglichst lange auf der Plattform halten sollten. Doch was sind diese Algorithmen überhaupt? Und warum kann eine zu personalisierte Ausspielung von Inhalten gerade im Social-Media-Bereich eine umzäunte Welt erschaffen, aus der es nur schwerlich einen Ausweg gibt?
Schritt für Schritt zur Lösung – Was sind Algorithmen?
Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungs- bzw. Berechnungsvorschrift zur Lösung eines Problems, bei der ein bestimmtes Verfahren angeleitet und ein Eingabewert zu einem Ausgabewert umgewandelt wird. Es handelt sich demnach um eine Art Lösungsplan, der die Vorgehensweise genauestens vorgibt und dabei in seiner Komplexität aus einem einzelnen bis hin zu endlich vielen (Rechen-)Schritten bestehen kann. Wenn also von einem Algorithmus die Rede ist, muss es sich nicht unbedingt um eine mathematische Formel oder ein Computerprogramm handeln. Auch Spielregeln, Kochrezepte oder Gebrauchsanweisungen stellen einen Algorithmus dar, sofern die folgenden, grundlegenden Kriterien erfüllt sind:
- Eindeutigkeit: Jeder Einzelschritt muss eindeutig beschrieben sein.
- Ausführbarkeit: Jeder Einzelschritt muss tatsächlich ausführbar sein.
- Endlichkeit: Die Beschreibung und Anzahl der Schritte muss endlich sein.
- Terminierung: Der Algorithmus selbst muss enden und ein Ergebnis liefern.
- Determiniertheit: Gleiche Eingaben müssen auch stets das gleiche Ergebnis liefern.
- Determinismus: Der Folgeschritt ist zu jedem Zeitpunkt eindeutig definiert.
Algorithmen können somit direkt von Menschen Schritt für Schritt abgearbeitet oder von Maschinen ausgeführt werden, welche die Verarbeitung einer Eingabe übernehmen. Vor allem in der Informatik stellen Algorithmen so eine essenzielle Grundlage der Programmierung dar, indem sie im Hintergrund einer Software bzw. eines Programms den Ablaufplan der zugrundeliegenden Regeln und mathematischen Operationen bestimmen. Für die Anwender sind computergestützte Algorithmen daher schlicht Alltagsvereinfacher, da die einzelnen Schritte, die für ein bestimmtes Vorhaben notwendig sind, von der Maschine übernommen werden und das geforderte Ergebnis direkt geliefert wird. Sei es das Navigationsgerät, welches die kürzeste Route zum Ziel auswirft; das Textverarbeitungsprogramm, welches auf Grammatikfehler verweist; oder die Begriffsanfrage über eine Suchmaschine, welche passende Vorschläge generiert.
Algorithmen sind zudem die Bausteine für Künstliche Intelligenz (KI) sowie dessen Teilgebiet Machine Learning, wodurch Systeme befähigt werden, auch abstraktere Aufgaben selbstständig zu lösen. Im Unterschied zu herkömmlichen Algorithmen benötigen Computer beim maschinellen Lernen keine explizite Programmierung, die einen genauen Ablaufplan vorgibt. Vielmehr werden hierbei eine Reihe von Algorithmen genutzt, die mit strukturierten Daten gefüttert werden und es der Maschine erlauben, selbstständig Muster zu erkennen und darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen. KI hingegen nutzt einen Satz von Algorithmen, welcher auch mit unstrukturierten Daten gefüttert werden kann, die von der Maschine erkannt und eingeordnet werden. Die KI folgt somit keinem vordefinierten Rechenweg, sondern nutzt die Datenmengen zum Wissensaufbau, sodass auch auf unvorhergesehene Ereignisse reagiert werden kann.
Im Social-Media-Bereich werden Algorithmen heutzutage nicht mehr nur dafür genutzt, Beiträge nach Neuheit oder Verfasser zu sortieren, sondern dafür, dass Inhalte ausgespielt werden, die für den jeweiligen Nutzer von höchstem Interesse sein könnten – oder sollten. Um dies zu erreichen, unterfüttern soziale Plattformen wie z. B. Instagram, Twitter oder Facebook ihre Algorithmen mit Daten hinsichtlich der Suchpräferenzen, Interaktionsverläufe oder Profilangaben der Nutzer und platzieren dadurch automatisch die Inhalte ganz oben im Feed, die dem Nutzerinteresse am ehesten entsprechen. Dies mag auf den ersten, vielleicht gar auf den zweiten Blick recht logisch und interaktionsfördernd klingen, jedoch stellt sich natürlich die Frage, inwieweit das Ausspielen nur derer Inhalte, Informationen und auch Werbung, die auf Grund des Algorithmus als relevant eingestuft werden, Auswirkungen auf das Nutzerverhalten und -denken sowohl in der Online- als auch in der realen Welt haben?
Alles leicht verdaulich – Das Leben in der Filterblase
Im Internet entscheiden Algorithmen basierend auf Informationen, die ein Nutzer einer Plattform bewusst oder auch unbewusst übermittelt, was angezeigt wird und was nicht. Die daraus resultierende Personalisierung spart dem Nutzer in erster Linie Zeit, da den Interessen entsprechende Inhalte nicht gesucht werden müssen, sondern bereits vorgefiltert auf dem Präsentierteller serviert werden. Je besser die Algorithmen demnach greifen, desto mehr bewegt man sich nur noch in den Bereichen, in denen die zugefütterten Informationen nahezu exklusiv den eigenen Vorstellungen und Gewohnheiten entsprechen.
Diese mit Scheuklappen versehene Komfortzone taufte der amerikanische Politaktivist Eli Pariser 2011 „Filter Bubble“ – oder zu Deutsch Filterblase. In seinem gleichnamigen Buch prangerte er vordergründig an, dass die auf verschiedenen Plattformen eingesetzten Filteralgorithmen den Blick über den Tellerrand hinaus verwehren und den Nutzer in einen abgeriegelten Raum verfrachten, in welchem er sich zusehends isoliert und einzig und allein in seiner eigenen Weltanschauung bestätigt sieht. Ein Tummelplatz an Inhalten, welche die eigene Wahrnehmung bekräftigen und gleichzeitig den Anschein erwecken, dass alle anderen die Meinung des Nutzers teilen. Die Filterung von Informationen, die in vielen digitalen Kontexten gewünscht und notwendig ist, stellt seitdem nicht nur für Eli Pariser im Social-Media-Bereich ein leicht zu missbrauchendes Instrument dar, durch welches Inhalte gesteuert sowie vorenthalten werden können oder – im schlimmsten Fall – der perfekte Nährboden für Agenda getriebene Desinformation und Propaganda entsteht.
„Google is great at helping us find what we know we want, but not at finding what we don´t know we want.”
Dazu sei gesagt, dass sich jeder Mensch in gewisser Hinsicht in einer Filterblase befindet. Außerhalb der Onlinewelt bewegen sich z. B. die meisten in einem etablierten Freundeskreis, der nicht allzu durchlässig ist und in dem notwendigerweise zumindest grundlegende Werte sowie Anschauung geteilt werden. In dieser Freundeskreisblase tauchen bestimmt auch regelmäßig gleiche Themen und gemeinsame Interessen auf, jedoch unterscheidet sich diese eigene, analoge Blase in der Regel substanziell von einer Social-Media-Filterblase, da ungefilterte Themen, die keinem ausgesprochenem Interesse entsprechen müssen, von den einzelnen Mitgliedern hineingetragen werden und die Flucht vor möglichen Meinungsverschiedenheiten im privaten Umfeld selten einen gangbaren Weg darstellt.
Und von den Online-Anbietern selbst wird natürlich auch erwartet, dass Filterfunktionen vorhanden sind, die den Nutzern einfach und vor allem schnell einen Überblick verschaffen sowie Ergebnisse liefern. Der Mensch braucht schließlich Komfortzonen, die seinen Erwartungen entsprechen, und es ist mehr als nur legitim, sich hauptsächlich mit den Dingen zu beschäftigen, die einen mit Gewissheit interessieren und in seiner eigenen Wahrnehmung stützen. Aber der Mensch braucht genauso auch eine Prise Neugier, eine Offenheit gegenüber Unbekanntem und die Möglichkeit seine eigenen Anschauungen auf die Probe zu stellen, zu hinterfragen und zu optimieren. Vor allem braucht er hierfür ungefilterte Kommunikation – und die kann ohne Reibung, Feedback und Gemeinschaft nicht existieren.
Es ist also tatsächlich ein weiteres Social Dilemma, dessen Auswirkungen auch im öffentlichen Diskurs zu spüren sind, wenn sich Nutzer größtenteils unbewusst immer weiter in eine Social-Media-Filterblase bewegen, in der solche Möglichkeiten der Reflektion, Kommunikation und Erkundung an den Rand gedrückt werden und der eigene Horizont kleiner und kleiner wird. Ein Dilemma, welches sich auch auf Unternehmen ausweitet, für die es zwar dank der durch Filterblasen erhobenen Daten einfacher wird, bestimmte Personengruppen anzusprechen, aber auch gleichsam schwerer, der Zielgruppe entsprechende Personen außerhalb der Filterblasen miteinzubeziehen. Eine Form der Abhilfe bietet hierbei bislang nur die Nutzung von Hashtags, die auf Social-Media-Kanälen Alltag geworden sind. Hiermit versehene Beiträge richten sich nicht nur an die Follower oder Abonnenten, sondern an all jene Nutzer, die korrespondierende Themen oder Begriffe auf der Plattform suchen. Hashtags eignen sich daher als einfaches Mittel, um in die Filterblase anderer Personen zu gelangen und die Reichweite der eigenen Inhalte zu erweitern.
Zurück in die Realität – Der Ausbruch aus der Filterblase
Social Media hat viele positive Aspekte. So können Beziehungen oftmals einfacher aufrechterhalten und geknüpft werden; Firmen erleichtert es, die Reichweite und den Kundenkontakt zu verbessern; und in vielen Ländern ist es häufig die schnellste, leider manchmal auch die einzige Möglichkeit an Informationen zu kommen und Aktivitäten zu organisieren. Und auch wenn es um mögliche Schattenseiten wie die Filterblase geht, gibt es immer mehr Forscher und auch kooperationswillige Unternehmen, die sich mit einer digitalen Ethik beschäftigen und dafür sorgen wollen, dass die genutzten Algorithmen mehr Diversität bei der Ausspielung von Inhalten erlauben als bislang.
Eine Möglichkeit durch Algorithmen den Entdeckerdrang der Nutzer sogar zu wecken stellen sogenannte Empfehlungssysteme dar, die Feedback vom Nutzer sammeln und filtern, um eine höhere, recht zwanglose Personalisierung zu erreichen. So hat Spotify für sich mit „Dein Mixtape“ ein Musikempfehlungssystem eingeführt, welches personalisierte Playlisten auf Grundlage der Hörgewohnheiten des jeweiligen Nutzers erstellt. Diese verbinden altbekannte Lieblingssongs, die vom Nutzer wiederentdeckt werden können, mit passenden Neuempfehlungen, die sich zu neuen Favoriten aufschwingen können. Das System passt sich dabei kontinuierlich an das Streamingverhalten an, wodurch der Nutzer im Prinzip direkt mitbestimmt, wie engmaschig oder weitläufig die daraus entstehende Filterblase verläuft. Zudem könnten zukünftige Empfehlungssysteme im Sinne einer optimierten User Experience den Nutzern verschiedene Werkzeuge an die Hand geben, welche es vereinfachen, Inhalte zu finden, die außerhalb der Filterblase liegen.
Inwiefern es aber ähnlich übergreifende Änderungen gerade im Social-Media-Kontext geben wird, um Filterblasen von vornherein weitestgehend zu vermeiden, steht noch in den Sternen. Vor allem, da es den Social-Media-Größen natürlich hauptsächlich darum geht, dass die Nutzer so lange wie möglich auf ihren Plattformen verweilen und sich Inhalte auch anschauen und teilen. Die Befürchtung, dass eine gewisse Diversifizierung der Inhalte deshalb mit weniger Nutzerinteraktion oder gar einem Nutzerrückgang einhergeht, mag einer schnellen Lösung des Dilemmas deshalb noch auf unbestimmte Zeit im Wege stehen.
Wer daher glaubt, ungewollt in einer Filterblase festzustecken, kann aber auch heute schon den Algorithmen entgegenwirken. So kann durch das bewusste Liken, Abonnieren oder auch Deabonnieren von Inhalten die aktive Blase zumindest verändert werden. Geschieht dies in einem gewissen Rhythmus, muss sich die Blase immer neu anpassen und wird schließlich auch durchlässiger für Informationen, die vormals durch den Filter gefallen sind. Zudem können Ad-Blocker dabei helfen, dass weniger private Daten in die Filterblase eingespeist werden. Sie sind ein einfaches Tool, welches im Browser eingesetzt werden kann, das darauf hinweist, was dem Seitenbetreiber bei der Nutzung übermittelt wird, und das Blockieren selbiger Übermittlung erlaubt. Beides verlangt natürlich einen gewissen Aufwand – aber ohne diesen geht es eben momentan noch nicht.
Den Nutzer miteinbeziehen – Mehr Transparenz und Entscheidungsfreiheit
Um die Nutzer einzuweihen und einen Algorithmus nachvollziehbarer zu gestalten, wäre es sicherlich auch eine Möglichkeit, dass Anbieter die Funktion ihres Algorithmus offenlegen und klar aufzeigen, was gefiltert wird. Es ist jedoch fraglich, inwiefern dies tatsächlich zu einer höheren Transparenz führen würde, da sich bereits jetzt nahezu niemand beim Aufrufen einer Website durchlesen will, was es mit welchen Cookies auf sich hat, wenngleich den meisten bewusst sein sollte, dass mit der Bestätigung die Erlaubnis darüber erteilt wird, welche Informationen gesammelt werden dürfen, die schlussendlich für den Algorithmus und somit Inhaltsfilter bestimmt sind. Hinweise während der Nutzung, die anzeigen, ob dem Filter gerade etwas hinzugefügt wurde, oder eine Mitbestimmung über die Filteroptionen beim Start einer Anwendung, auf die auch im weiteren Verlauf zugegriffen werden kann, könnten aber Wege darstellen, um den Nutzern mehr Kontrollmöglichkeiten zu geben.
Für Anbieter gilt es daher, nicht fortlaufend den Weg mit dem geringsten Widerstand zu gehen, indem einfach nur das ungefragt zugespielt wird, was auch passend erscheint, sondern transparentere Erlebnisse ohne versteckte Hürden zu schaffen, die den Nutzern eine höhere Entscheidungsfreiheit bieten. Die Nutzer selbst müssen sich gleichwohl für einen gesünderen Umgang mit Social Media entscheiden, indem sie ihr Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Aktionen, die sie im digitalen Raum tätigen, erweitern. Dies wird nur durch Aufklärung gelingen, die von allen – Unternehmen, Entscheidern, digitalen Experten und erfahrenen Nutzern – auch mitgetragen werden muss.
_________
Quellen:
Eigene verlinkte Artikel:
Social Dilemma:
Social Dilemma – Zwischen Verantwortung, Aufklärung und Manipulation
Zielgruppe:
Von Zielgruppen und Personas – Wege zum besseren Nutzerverständnis
Digitale Ethik:
Digitale Ethik – Werte und Moral zwischen Mensch und Maschine
UX:
Was bedeutet User Experience – Der Weg zum unverzichtbaren Bestandteil heutiger Produkte & Services