Künstliche Intelligenz im Design – Die Auswirkungen von KI auf Gestaltungsprozesse

Veröffentlicht am 05. April 2022

Sebastian Baldauf

Beim Thema Künstliche Intelligenz schwingt bei vielen Menschen eine gewisse Skepsis mit, die nicht selten mit dystopischen Zukunftsvisionen einhergeht. Dies ist insofern nicht sonderlich verwunderlich, da uns nicht nur kreative Schreiber und Filmemacher in gewisser Regelmäßigkeit Bedrohungsszenarien einer außer Kontrolle geratenen KI aufzeigen, sondern auch wissenschaftliche Pioniere wie Stephen Hawking schon früh vor möglichen Gefahren gewarnt haben. In erster Linie ist KI aber ein neues Instrument mit enormem Potenzial, welches wie viele andere Erfindungen zuvor einen verantwortungsvollen Umgang von Seiten seiner Schöpfer verlangt.

 

Aktuell steckt die KI noch in ihren Kinderschuhen, wenngleich ihr Einsatz durch den technologischen Fortschritt in verschiedensten Industriezweigen immer mehr zur Normalität gehört. Die Automatisierung von Arbeitsabläufen und Datenprozessen wirft dabei für viele mittelfristig eher die Frage auf, ob die KI uns Menschen im Berufskontext nicht zwangsläufig überflüssig machen wird, wenn sie selbstlernend und ohne kontinuierlichen menschlichen Input wesentlich effizienter und produktiver arbeiten kann. Doch inwiefern ist die KI-Entwicklung bereits wirklich vorangeschritten und wie könnte sich dies auf die zukünftige Rolle des Designers auswirken?

 

Die Anfänge – Ein kurzer Blick zurück

Bereits um die Wende des 19. Jahrhunderts legten Carl Friedrich Gauß und Adrien-Marie Legendre den Grundstein für das maschinelle Lernen, indem sie eine Methode zur Mustererkennung durch lineare Regression entwickelten. Bei dieser Methode reichen kleine und teils unvollständige Datensätze dafür aus, um unbekannte Datenpunkte mit recht hoher Wahrscheinlichkeit vorherzusagen. Ist für ein Problem also noch keine Modellfunktion bekannt, können heute noch sogenannte Gaußsche Prozesse als maschineller Lernalgorithmus verwendet werden, die allein auf Grundlage einfacher Beobachtungen bzw. des Systemverhaltens eine automatische Modellbildung erlauben.

 

Während zur gleichen Zeit in Frankreich auch die ersten automatischen Webstühle mit Lochkartensteuerung erschienen, lies der erste wahrhaft selbstlernende Algorithmus aber noch lange auf sich warten. Rund eineinhalb Jahrhunderte später, im Jahre 1958, präsentierte der amerikanische Psychologe und Computer-Wissenschaftler Frank Rosenblatt seinen „Perceptron“. Ein fünf Tonnen schwerer IBM 704 Computer, der sich nach 50 Versuchen selbstständig beibrachte, die ihm gefütterten Lochkarten nach Markierungen zu unterscheiden. Ein Durchbruch, der bis heute die Geburtsstunde des ersten künstlich geschaffenen neuronalen Netzwerks darstellt und der den Informatiker Arthur Samuel im Folgejahr dazu brachte, solche selbstlernenden Modelle als „Machine Learning“ zu bezeichnen.

 

Und auch die Begrifflichkeit Künstliche Intelligenz fällt in Rosenblatts Zeitschiene. Zwei Jahre vor der Demonstration des „Perceptron“ sprach John McCarthy auf der Dartmouth-Konferenz am gleichnamigen College erstmals von „Artificial Intelligence“, da er in seiner Studie davon ausging, dass es möglich sein müsste, dass jeder Aspekt der Intelligenz so genau beschrieben werden kann, dass eine Maschine ihn simulieren kann. Heute lässt sich mit Sicherheit sagen, dass KI kognitive Fähigkeiten nicht nur imitieren kann, sondern ihr Leistungsvermögen weit über das des Menschen hinausgeht.

 

Das Heute – KI in der Gegenwart

Der Fortschritt in der Algorithmik sowie die Explosion der generierten Datenmengen im Zusammenspiel mit stetig steigender Rechenpower sind die Treiber, welche die Entwicklung und den Umgang mit Künstlichen Intelligenzen heutzutage erst möglich machen. Personalisierte Inhalte und Empfehlungen auf Streaming-Plattformen oder in sozialen Netzwerken sind dadurch genauso Teil unseres Alltags geworden wie die Interaktion mit Sprach-Interfaces oder das Nutzen von Gesichtserkennung-Tools.

 

Und hier zeigt sich auch schon, was KI wirklich gut kann: das Zuschneiden personalisierter Empfehlungen basierend auf dem Verhalten des Anwenders sowie das Analysieren enormer Datenmengen, wodurch Gemeinsamkeiten erkannt und Auffälligkeiten herausgestellt werden können. Im Designprozess bedeutet dies, dass KI-unterstützte Programme Designern dabei helfen, die Zeit zur Analyse großer Datenmengen massiv zu reduzieren, um schnellere und bessere Entscheidungen auf Grundlage von Empfehlungen zu treffen. Dies erlaubt in kürzesten Zeiträumen eine viel höhere Varianz sowie einen deutlich höheren Durchsatz an Prototypen zu generieren als es mit herkömmlichen Methoden je möglich sein wird.

 

Maschinen sind schlichtweg besser im Sammeln, Sortieren und Analysieren von Daten sowie im Lernen und Erkennen von Mustern. Und da die Datenmengen Tag für Tag weiterwachsen, benötigen wir die Mithilfe von Maschinen, um diesen überhaupt Herr zu werden. Dies bedeutet aber nicht, dass die KI alles besser kann. Zwar kann auch eine KI ein Rembrandt-Gemälde erstellen oder ein Musikstück komponieren, jedoch kann sie dies nicht autonom, also ohne Zuhilfenahme von Daten und vordefinierten Parametern. KI kann demnach etwas erschaffen, aber sie kann nie wahrhaft Schöpfer sein.

 

Zudem verfügt der Mensch über multiple Intelligenzen wie sozialer und emotionaler Intelligenz, die auch in den Wissenschaften noch stark diskutiert werden. Selbst wenn wir also wollten, wüssten wir noch gar nicht genau, wie und ob wir solche Intelligenzen überhaupt einer KI beibringen können. Zwar kann KI Emotionen in der Stimmlage und in Gesichtsausdrücken bereits recht erfolgreich erkennen, jedoch verläuft dieses Erkennen weitgehend kontextlos und mit einer vergleichbaren Fehlerrate wie bei Menschen. Das Identifizieren von Vorurteilen auf Basis von sozialem Bewusstsein oder das Erfassen und Dekodieren emotionaler Nuancen basierend auf sozialen Aspekten stellen deshalb für eine KI sowohl heute als auch in überschaubarer Zukunft Hürden dar, die bislang unüberwindbar scheinen und große Fragen hinsichtlich dem Schutz der Privatsphäre aufwerfen.

 

Unzählige Optionen – KI-Einsatz im Design

Designer wissen um die Kunst der Emotion im Zusammenspiel mit Farben, Formen und Bildern. Und sie wissen auch, dass den Themen Individualisierung und Personalisierung eine immer höhere Bedeutung zukommt. Gerade wenn es um Designvarianz geht, waren den Schaffenden hierbei aber immer natürliche Restriktionen - allen voran Zeit - im Wege. Hierbei kann KI Abhilfe schaffen, wie Nutella bereits 2017 mit seiner Unica-Kampagne zeigte. Aufbauend auf einem Grundmuster generierte die Personalisierungssoftware HP Mosaic sieben Millionen unterschiedliche Etiketten, die jedes Nutella-Glas zu einem Unikat machten. Die KI erlaubte, dank nahezu unendlicher Gestaltungsvariationen, somit eine Art Massenindividualisierung, die in händischer Arbeit und bei der enormen Auftragsmenge nicht im Ansatz möglich gewesen wäre.

 

Das Designteam von Grey zeigte vor kurzem sogar auf, inwieweit eine KI dabei unterstützen kann, wenn es um das Entwickeln eines vollumfänglichen Brandings geht. Den rund 5000 Mitarbeitern von Speira, einem Hersteller nachhaltiger Aluminiumprodukte, wurden Fragen gestellt, um die Werte und das mögliche Erscheinungsbild der Marke zu visualisieren. Die Auswertung und Analyse der abertausend gesammelten Antworten wurde im Anschluss aber nicht über Wochen oder gar Monate vom Team bearbeitet, sondern in die IBM-KI „Watson“ eingespeist. Mittels Visual Recognition konnte Watson innerhalb von lediglich vier Tagen alle Antworten abgleichen, Überschneidungen herausfiltern und jegliche Abweichungen zusammenfassen, welche die Markenstrategie mitbestimmen und beeinflussen könnten.

 

Unter Zuhilfenahme von KI können somit jetzt schon Designprozesse um ein vielfaches effizienter und produktiver gestaltet werden. Die Anwendungsgebiete sind dabei genauso vielfältig wie der Möglichkeitenhorizont. So nutzt z. B. die BMW-Tochter Designworks KI-gestütztes generatives Design, um eine Vielzahl an Alternativlösungen bei der Entwicklung neuer Sitze oder Felgen zu erhalten. Durch das Übernehmen der Routine-Aufgaben entlastet die KI so die Designteams, die sich dadurch auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können: kreative und autonome Entscheidungen zu treffen, die auf einer fundierten Grundlage basieren und die Nutzerbedürfnisse in den Vordergrund rücken.

 

Design als Disziplin – Eine natürliche Evolution

 

 

Dass sich das zukünftige Berufsbild des Designers von einem Erschaffer hin zu einer Art Kurator wandelt, lässt sich auch an Richard Buchanans „Orders of Design“ vergegenwärtigt, mit dem er die Komplexität und Grundlagen der verschiedenen Design-Disziplinen über die Jahrzehnte hinweg aufzeigt. Während Grafikdesigner zunächst ein reines Spezialistendasein führten, kamen im Laufe der Jahre immer weitere Disziplinen hinzu, welche die Rolle erweiterten und umwandelten. Auf der Zeitschiene befinden wir uns heutzutage im Umfeld der Interaktionsgestaltung, deren Ziel die holistische Benutzererfahrung ist. Doch durch den technologischen Fortschritt stehen wir kurz vor dem Eintritt in Buchanans vierte Evolutionsphase.

„It is not the strongest or the most intelligent who will survive but those who can best manage change.“ Leon C. Megginson

Aus den vergangenen Rollenbildern setzt sich demnach ein neuer „Design-Kosmos“ zusammen, der die darin enthaltenen Aufgaben und Herausforderungen neu definiert. Die vormals von Designern vorangetriebene Erarbeitung von Designelementen kann so in Zukunft immer mehr von der KI übernommen werden, wodurch den Designern selbst zuvorderst die Aufgabe der KI-Steuernden zukommt. Sie müssen fortan die Ziele für die Algorithmen sowie die Parameter für den Gestaltungsprozess definieren und das Verhalten des zugrundeliegenden Systems bestimmen. Die Designer von morgen setzen somit die Leitplanken für die KI und sorgen dafür, dass auch ethische Grundsätze in den Prozess miteinfließen.

 

Gute Designer zeichnen sich daher heute schon nicht nur durch das Berücksichtigen gestalterischer Grundprinzipien und ein hohes Verständnis für Nutzerverhalten aus, sondern denken bereits an die stetige Anpassungsfähigkeit ihrer selbst und der gestalteten Produkte. Wie kann sich das Produkt unter der Berücksichtigung unterschiedlichem Nutzerverhalten dynamisch und flexibel an den zukünftigen Nutzungskontext anpassen? Und wie kann ich dazu beitragen, dass der menschliche Faktor auch innerhalb der Technologie eine zentrale Rolle spielt, über dessen Verantwortung ich mir bewusst bin?

 

Die Zukunft – Gestaltunsprinzipien für das Morgen

KI wird das Berufsbild des Designers wie wir es heute kennen maßgeblich verändern, da auch im kreativen Umfeld kein Weg am technologischen Fortschritt vorbeiführt. Dabei gilt es zu verstehen, dass KI ein unterstützendes Werkzeug für Gestalter darstellt, mit deren Hilfe sich besser auf die Kernaspekte des Designs fokussiert werden kann, während vormals zeit- und ressourcenintensive Arbeitsschritte automatisiert und vereinfacht werden können. KI sollte deshalb mehr als Partner denn als Gefahr verstanden werden, da jeder von uns den unaufhaltsamen technologischen Fortschritt nur dann auch effektiv mitgestalten kann, wenn wir uns gemeinsam mit den neu aufkommenden Errungenschaften weiterentwickeln.

 

Design hat in unserer modernen Gesellschaft stets mit den Entwicklungen im Technologie- und Produktionssektor Schritt gehalten, um die ringsherum steigende Komplexität zu durchdringen. Die Integration von KI in den Designprozess ist daher an sich ein natürlicher Evolutionsschritt, der uns bereits jetzt das Ausloten von neuen Möglichkeiten erlaubt, die bis vor kurzem noch undenkbar schienen. Es liegt deshalb an den aktuellen Generationen, optimistisch in die Zukunft zu blicken und im Hier und Jetzt Gestaltungsprinzipien als Leitplanken für KI zu definieren, die durch Transparenz, Barrierefreiheit, Verantwortung und vor allem Menschlichkeit geprägt sind.

 

 

Quellen:

https://news.cornell.edu/stories/2019/09/professors-perceptron-paved-way-ai-60-years-too-soon

https://www.mckinsey.com/business-functions/mckinsey-analytics/our-insights/an-executives-guide-to-ai

https://www.deutschlandfunk.de/vor-65-jahren-die-dartmouth-konferenz-geburtsstunde-des-100.html

https://www.bmw.com/de/design/ki-design-und-digitale-kunst.html

https://blog.adobe.com/en/2017/01/24/technology-and-the-evolution-of-the-designers-role

https://www.toptal.com/designers/product-design/infographic-ai-in-design

https://medium.com/microsoft-design/yes-ai-will-replace-designers-9d90c6e34502

https://etikett.de/hp-mosaic/

https://page-online.de/kreation/innovativer-ki-workflow-fuer-ein-branding-in-rekordzeit/

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren