UX Design: Zwischen Konvention und Innovation
Der Mensch ist von Natur aus Neuem gegenüber skeptisch und kann sich nur schwerlich von angelernten Gewohnheiten trennen. Manch einer gerät bereits in Panik, wenn sich der Busfahrplan ändert oder Lieblingsprodukte plötzlich mit einer anderen Verpackung in den Supermarkt-Regalen stehen. Dass Veränderungen eher argwöhnisch betrachtet und teilweise gar verteufelt werden, zeigt sich auch immer noch beim Thema Digitalisierung. Gerade bei der Entwicklung und Gestaltung von digitalen Produkten stellt sich daher die Frage, wie man wahrlich innovativ sein kann, wenn die Leute sich doch nur allzu sehr in ihren etablierten Denk- und Gewohnheitsmustern wohlfühlen.
Konventionen vereinfachen das digitale Leben
Beim alltäglichen Surfen durch die Weiten des Internets kommt man gar nicht umhin, auf immer wieder auftretende Funktionen und Pattern zu stoßen, die viele Webseiten irgendwie gleich erscheinen lassen. Es geht dabei aber nicht um das „wer kupfert denn da von wem ab“, sondern um das „zum Glück finde ich mich hier überall zurecht“ — der Einheitsbrei ist sozusagen gewollt: Der Nutzer will sich von Anfang an zuhause fühlen, denn in seinen eigenen vier Wänden weiß man schließlich, wo sich alles befindet.
„[Users] form their expectations for your site based on what’s commonly done on most other sites. If you deviate, your site will be harder to use and users will leave.“
Wenn ein Nutzer eine Webseite besucht, die kaum vergleichbare, altbewährte Muster aufweist, fühlt er sich unsicher und verschwindet sogleich wieder auf eine Seite, die ihm das Gefühl gibt, in bekanntem Gewässer zu surfen. Sollten sich dann User Experience Designer daher nicht einfach auf das Motto ‚Convention is King’ verlassen? Denn es scheint fast so, als seien die Nutzer schlichtweg zu träge, sich auf Neues und somit Innovatives einzulassen.
Innovation als Hindernis?
Es werden nicht erst seit gestern Vorwürfe laut, dass UX Design langsam zu einer Disziplin verkommt, bei der die Kreativität durch eine allumgreifende Konformität ersetzt wird. Lieber immer alles nach Schema F machen, um bloß nicht das Risiko einzugehen missverstanden zu werden und somit abschreckend zu wirken. Somit stellt sich die Frage: Kann man Benutzer durch Innovation überhaupt erreichen?
Der Schlüssel liegt darin, zu erkennen, dass jede Neuerung auch immer eine Optimierung darstellen sollte. Innovation ist natürlich in jeder Branche überlebenswichtig, aber wie überall dürfen Veränderungen, egal wie minimal oder extrem sie zunächst erscheinen, nicht einfach nur um der Innovation willen von statten gehen. Oberste Priorität sollte immer die Funktionalität und ein klar erkennbarer Nutzen haben. Deshalb müssen kreative Neuinterpretationen und Lösungen auf einem stabilen Grundgerüst aufgebaut werden.
Es geht also nicht darum, das Rad immer wieder neu zu erfinden — vielmehr gilt es Dinge, die nachgewiesener Maßen funktionieren und sich durchgesetzt haben, weiterzuentwickeln und zu verbessern. Auch und gerade in vielen Bereichen des Interaktionsdesigns können
drastische Neuerungen kontraintuitiv für die Benutzer sein und werden folglich als irritierend und schlecht benutzbar wahrgenommen. Dies führt wiederum dazu, dass sich das Produkt oder Feature nicht durchsetzt.
Kreativität in Zeiten der Konformität
Die Frage muss also lauten, wie sich Konvention und Innovation in ein und demselben Projekt vereinen lassen. Schließlich will und muss ein UX Designer auf Innovation ausgerichtet sein, um ein neues Produkt zu entwickeln oder neue Modelle der Interaktion mit dem Anwender zu erschließen. Dabei geht es aber nicht nur um ein intuitives Interface, sondern darum, die Zielgruppe zu verstehen und die beste ganzheitliche Nutzererfahrung für sie bereitzustellen.
Um kreativ zu arbeiten, benötigen UX Designer einen gewissen Spielraum, der nicht durch unantastbare Richtlinien eingeengt wird. Denn das bloße Einhalten stringenter Konventionen kann nicht die Frage beantworten, warum etwas für den Nutzer funktioniert. Darüber kann nur das stetige Hinterfragen und Testen des Produktes Auskunft geben. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass sich viele gängige Standards aus gutem Grund etabliert haben. So kann man bei der Positionierung von Elementen die hiesige Leserichtung von links nach rechts ja nicht einfach ignorieren und ausblenden.
Andererseits gibt es viele Pattern, die nahezu grundlos zu einem Standard geworden sind, ohne großartig hinterfragt zu werden. Gerade durch diese Muster entsteht dann der zuvor angeklungene Einheitsbrei, in dem sich alles zu ähneln scheint. Wenn aber alles gleich ist, was hebt einen dann aus der Masse hervor? Das Risiko mit seiner Marke gesichtslos zu wirken ist nicht gerade gering, wenn das einzige Unterscheidungsmerkmal ein kleines Logo ist, welches in der linken oberen Ecke der Navigation verwahrlost.
Ein Balanceakt
Innovative Lösungen sind unabdingbar, wenn es um das Herausstechen aus der breiten Masse geht. Die Herausforderung ist die Balance zwischen dem, was bereits funktioniert, und dem, was funktionieren kann, zu finden. Nicht nur als Designer sollte man an etablierten Konventionen festhalten und dort neu ansetzen, wo wahrhaftig Mehrwert geschaffen werden kann. Dabei geht es weniger um die strenge Einhaltung der Konventionen, sondern vielmehr um das Beachten von Grundprinzipien.
Gerade für uns als User Experience Experten ist es von großer Bedeutung, sich an solchen Grundprinzipien zu orientieren, die als grober Rahmen für unseren Arbeitsprozess dienen. Dadurch gewährleisten wir, dass kreativen Ideen und neuen Lösungen nicht nur der notwendige Platz gegeben wird, sondern sie auch auf klaren Strukturen aufbauen. Mit dieser Symbiose von Konvention und Innovation sorgen wir bei forwerts dafür, dass unsere Produkte und Anwendungen sowohl intuitiv bedienbar als auch State of the Art sind.